Wasserstoff als Game Changer für die Versorgungssicherheit

Ein Beitrag von Michael Wider, Präsident Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen VSE

Versorgungssicherheit, Klima und Wirtschaftlichkeit – diese drei Dimensionen bestimmen alle Lösungen unseres Energiesystems. Grundsätzlich ist eine Investition heute nur umsetzbar, wenn sie allen drei Dimensionen Rechnung trägt. Doch die Versorgungssicherheit, die für Wirtschaft und Gesellschaft der Schweiz überlebenswichtig ist, ist unter ihnen prima inter pares. Und Wasserstoff kann für sie – und das Klima – einen Beitrag leisten. Bei der Wirtschaftlichkeit hingegen gibt es noch offene Fragen.

Im Zuge der Umsetzung von Massnahmen zur Erreichung des Netto-Null-Ziels sowie der europäischen Entwicklungen rückt Wasserstoff auch in der Schweiz zunehmend in den Fokus von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Auch die «Energiezukunft 2050», die breit angelegte Studie, die der VSE zusammen mit der Empa im letzten Jahr publiziert hat, berücksichtigt die Rolle dieses Energieträgers im zukünftigen Energiesystem der Schweiz. Die VSE-Studie geht der Frage nach, wie die Versorgungssicherheit der Schweiz unter Erfüllung der Klima- und Energieziele kosteneffizient gewährleistet werden kann. Die möglichen Szenarien wurden dabei entlang von zwei prägenden Achsen untersucht: Wie steht die Schweiz im energiepolitischen Verhältnis zu Europa; sind wir integriert oder isoliert? Und wie steht es um die Akzeptanz gegenüber neuer Energie-Infrastruktur? Die Studienresultate zeigen eindrücklich: Sind diese beiden ausgeprägt, i. e. ist die Integration in Europa gut und die Akzeptanz hoch, ergibt sich für die Schweiz das resilienteste Energiesystem – sowohl ökonomisch als auch in Bezug auf die Versorgungssicherheit.

In Bezug auf den Wasserstoff kommt dies besonders zum Tragen. Der Strombedarf wird in der Schweiz massiv zunehmen, gemäss der «Energiezukunft 2050» auf 80–90 TWh bis 2050, weshalb die inländische erneuerbare Produktion – Wasser, PV (alpin), Wind – massiv ausgebaut werden muss. Dabei wird im Winter der Bedarf für zusätzliche inländische Stromproduktion am grössten sein. Wasserstoff kann insbesondere im kritischen Winterhalbjahr einen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten und dann mehr Strom erzeugen als PV und Wind zusammen. Dazu muss die Schweiz Wasserstoff importieren können, denn die inländische Elektrolyse wird aus wirtschaftlichen Gründen eine untergeordnete Rolle spielen. In Europa hingegen entsteht mit hoher Wahrscheinlichkeit ein übergreifendes Wasserstoff-Netz («H2-Backbone») nach 2040. Die Schweiz kann somit – bei Anschluss an diesen Backbone – günstigen grünen Wasserstoff in grossen Mengen importieren; 2050 ca. 27 TWh in den besten Szenarien. Günstig, weil man für die Produktion von grünem Wasserstoff von tiefen künftigen Stromgestehungskosten aus erneuerbaren Energien ausgehen kann – insbesondere dann, wenn in Europa sogenannter Überschussstrom produziert wird und auch für Stromproduktion in sehr wind- und sonnenreichen Ländern. Die Voraussetzung für diesen Import ist aber die erwähnte Integration der Schweiz in den EU-Energiemarkt.

Aufgrund seiner grossen Verfügbarkeit zu günstigen Preisen kann Wasserstoff also zu einem essenziellen Element der Schweizer Energieversorgung werden – primär zur Stromerzeugung in GuD-Kraftwerken, aber auch in der Mobilität, zur Wärmeerzeugung und in der Industrie. Damit das Potenzial möglichst ausgeschöpft werden kann, besteht aber noch Handlungsbedarf: Erstens braucht die Schweiz möglichst ungehinderten Zugang zu ausländischen Wasserstoffmärkten und -infrastruktur. Voraussetzung dafür ist, dass die Schweiz umfassend in die europäischen Energiemärkte eingebunden ist. Zweitens sollte es auch in der Schweiz eine Wasserstoff-Herstellung in zumindest kleinen Mengen geben, was aber einen massiven Ausbau der inländischen erneuerbaren Produktion bedingt. Dies ist jedoch noch sehr teuer und längst nicht wirtschaftlich. Und der Markt allein wird die Herstellung nicht wirtschaftlich machen. Zudem würden inländische Speichermöglichkeiten für Wasserstoff eine zeitlich gleichmässigere Verwendung von voraussichtlich im Sommer inländisch hergestelltem Wasserstoff erlauben und damit die Auslandsabhängigkeit verringern. Drittens braucht es die Erkenntnis, dass das Thema Wasserstoff nicht nur die Strombranche betrifft, sondern als Teil der Sektorkopplung betrachtet werden muss und relevant ist für die Industrie, den Verkehrs- und den Wärme-/Gebäudesektor. Und schliesslich müssen alle beteiligten Akteure zusammenspannen: Soll Wasserstoff im zukünftigen Energiesystem der Schweiz eine Rolle spielen, müssen Branche, Bund und Politik das Thema gemeinsam weitertreiben.

Weitere Informationen: Spotlight Wasserstoff

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