Wie beurteilen Sie die vom Bundesrat im Dezember 2024 vorgestellte Wasserstoffstrategie?
Daniela Decurtins (Direktorin Verband der Schweizerischen Gasindustrie): Mit der Wasserstoffstrategie schafft der Bundesrat wichtige Rahmenbedingungen, unter denen sich in der Schweiz ein Wasserstoffmarkt entwickeln kann. Die Gaswirtschaft ist insbesondere erfreut, dass der Bund der Anbindung an das europäische Wasserstofftransportnetz eine grosse Bedeutung zumisst und eine finanzielle Beteiligung prüft. So hält sich die Schweiz alle Optionen offen.
Nicolas Crettenand (Geschäftsführer von Hydrospider): Wir begrüssen die Verabschiedung der Wasserstoffstrategie, sowie deren Hauptziele. Erfreulich ist, dass der Bundesrat im Vergleich zu früheren Stellungnahmen keine Wasserstoff-Anwendungen mehr ausgrenzt und insbesondere den Einsatz für die Mobilität anerkennt (u.a. Schwerverkehr). Hingegen fehlt es besonders bei der konkreten Umsetzung an Massnahmen ab 2030, um den Markthochlauf zu unterstützen.
Veronique Bittner (Generalsekretärin der EnDK – Konferenz Kantonaler Energiedirektoren): Für die EnDK ist klar, dass Wasserstoff in Zukunft einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der Klimaneutralität sowie zur Stärkung und Diversifizierung der Energieversorgung der Schweiz leisten wird. Unklar ist aber, in welchem Ausmass und in welchen Bereichen er zum Einsatz kommen wird.
Die EnDK begrüsst daher, dass der Bundesrat Ende 2024 seine Wasserstoffstrategie präsentiert hat. Mit der Strategie unterstreicht er die Bedeutung dieses Energieträgers und stellt bereits gewisse Weichen für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft. Zu bedauern ist, dass der Bundesrat keine klaren Ziele für die Produktion, den Import, den Transport und die Nutzung von Wasserstoff gesetzt hat.
Schafft die vom Bundesrat vorgestellte Wasserstoffstrategie die nötigen Rahmenbedingungen, damit sich in der Schweiz eine wirtschaftliche und wettbewerbsfähige Wasserstoffwirtschaft etablieren kann?
Decurtins: Die vorliegende Wasserstoffstrategie ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Es braucht aber weitere starke Signale des Bundes, sei dies international, sie dies national. Wasserstoff muss wie alle anderen erneuerbaren Gase mehr als Teil des Energiesystems gedacht werden. Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, welche die Marktakteure ermutigen, Investitionen zu tätigen. Hier mangelt es in der Strategie an wirkungsvollen Massnahmen, um stärker auf die Entwicklung eines inländischen Wasserstoffmarktes hinzuarbeiten.
Crettenand: Die Strategie geht in die richtige Richtung, schafft aber noch nicht die nötigen Rahmenbedingungen insbesondere für den inländischen Markthochlauf. Für die Förderung der Produktion und Nachfrage sind nur wenige Massnahmen vorgesehen, die über die bisherige Förderung bis 2030 oder die Harmonisierung der gesetzlichen Rahmenbedingungen und der Energieplanung zwischen den Kantonen hinausgehen. Z.B. unterstützt heute die LSVA-Befreiung für Batterie- und H2-LKW den Markthochlauf. Leider ist in der Strategie nichts zur Weiterführung der LSVA ab 2031 enthalten.
Bittner: Die Wasserstoffstrategie muss als erster Schritt in die richtige Richtung betrachtet werden, über den hinaus rasch geeignete gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen sind. Diese sind für Produzenten, Importeure, Transporteure und Verbraucher entscheidend. Hier müssen Bund und Kantone Hand in Hand arbeiten, wobei die Kantone als Bewilligungsbehörden für Produktions- sowie weitere Infrastrukturanlagen eine besondere Rolle spielen.
Wie bewerten Sie die Bemühungen des Bundesrats, sich am internationalen Wasserstoff-Transportnetz zu beteiligen?
Decurtins: Es ist erfreulich, dass sich der Bund hier zu engagieren begonnen hat. Noch ist er aber in der Beobachterrolle. Wir laufen Gefahr, dass alternative Wasserstofftransportrouten, die an der Schweiz vorbeigehen, geplant und realisiert werden. Es müssen Finanzierungslösungen zwischen Privatwirtschaft und Staat gefunden werden, welche die Risiken verteilen. Sonst wird nichts passieren. Die Risiken für die Privatwirtschaft allein sind zu hoch.
Crettenand: Die vorgeschlagenen Massnahmen zur Anbindung an den europäischen H2- Markt sind erfreulich konkret und zielstrebig. Wasserstoff trägt zur Diversifizierung der Energieversorgung bei und somit zur Erhöhung der Energieversorgungssicherheit. Zudem tragen der Anschluss und die Wasserstoffpipeline durch die Schweiz dazu bei, dass wir weiterhin die Rolle einer Energiedrehscheibe inmitten von Europa einnehmen werden.
Bittner: Die Schweiz wird nur einen Teil ihres Wasserstoffbedarfs durch eigene Produktion decken können. Sie braucht daher einen Zugang zum europäischen Wasserstoffmarkt und eine Anbindung an die europäischen Wasserstoffinfrastruktur. Die EnDK ist erfreut, dass auf ihren Vorschlag hin eine Evolutivklausel im Stromabkommen verankert wurde, wonach die Schweiz und die Europäische Union eine vertiefte Kooperation auch im Wasserstoffbereich anstreben.
Zusammen mit der Branche sollte sich der Bund auf europäischer Ebene für den Anschluss der Schweiz an den European Hydrogen Backbone starkmachen. Der Abschluss entsprechender Verträge mit den Nachbarländern und der Europäischen Union wäre daher sinnvoll. In der Schweiz sollte der Aufbau einer Infrastruktur für den Import und Transit von Wasserstoff so weit möglich unterstützt werden. Die vom Bund angekündigte Prüfung einer allfälligen finanziellen Absicherung für Investitionen an die Anbindung an das europäische Wasserstoffnetz ist rasch an die Hand zu nehmen.
Welche konkreten Massnahmen resp. nächste Schritte erwarten und fordern Sie von der Politik beim Thema Wasserstoff / Power-to-X?
Decurtins: Die Politik sollte gegenüber Wasserstoff, aber auch gegenüber Biomethan und synthetischem Methan offener sein. Nimmt man das Netto-Null-Ziel ernst, wird es neben erneuerbaren Elektronen auch Moleküle brauchen, etwa in der Industrie und dem Gewerbe, beim Schwertransport und der Spitzenlastabdeckung bei Wärmeverbünden. Zudem können erneuerbare Gase einen Beitrag in der Stromproduktion leisten, gerade auch in Hinblick auf das Winterstromproblem. Ein Beispiel für Sektorkopplung, deren Potenzial in der Wasserstoffstrategie des Bundes unterschätzt wird.
Crettenand: 1) Der Markthochlauf des grünen Stroms (Elektronen) wurde und wird in der Schweiz gezielt gefördert. Dies wird auch für grüne Treibstoffe (Moleküle) wie Wasserstoff nötig sein, am besten durch Marktmechanismen, die den Bundeshaushalt nicht belasten (z.B. Quoten-Modelle).
2) Für den Pipelineanschluss vor 2040 muss der Bund rasch Vorschläge für Unterstützungs- und Garantiemodelle in den parlamentarischen Prozess einbringen und von Anfang an auch eine Regulierungsfolgenabschätzung in Auftrag geben.
3) Für die Mobilität braucht es so rasch wie möglich Klarheit zur Weiterführung der LSVA. Zudem könnten die Strafzahlungen für Auto und LKW-Importeure, die die CO2-Flottenwerte nicht einhalten, teils zweckgebunden für die Infrastruktur für alternative Antriebsformen wie Wasserstoff eingesetzt werden.
4) Für die inländische Produktion und im Rahmen des 2. Verordnungspakets des Stromgesetzes (Mantelerlass) wurde für P&D Anlagen im Rahmen von max. 200MW die komplette Netzgeldrückerstattung gewährt. Die noch final zu klärende Definition von P&D Anlagen, soll Wasserstoff-Produktionsanlagen beinhalten, die zum Markthochlauf beitragen.
5) Und zuletzt könnte der Austausch zur Umsetzung der Wasserstoffstrategie zwischen dem Bund, den Kantonen, der Industrie und den Verbänden vertieft werden. Wir als Unternehmen, das bereits seit 5 Jahren in den Marktaufbau investiert und operativ tätig ist, wünschen dieses Miteinander zu verstärken.
Bittner: Von der Politik, aber auch von der Wirtschaft braucht es ein klares Bekenntnis zum Wasserstoff. Während Bund und Kantone einen geeigneten Rechtsrahmen und eine angemessene Bewilligungspraxis schaffen sollten, ist es die Rolle von Branche und Industrie, das Potenzial resp. den Bedarf und wirtschaftliche Einsatzbereiche des Wasserstoffs klarer aufzeigen. Ein ambitionierter Zeitplan ist für alle essenziell, insbesondere um den Anschluss an den europäischen Wasserstoffmarkt und die europäische Wasserstoffinfrastruktur nicht zu verpassen.