Ein Beitrag von Walter Steinmann, SteinmannConsulting
Marc Ziegler, CEO der Auto AG in Rothenburg, hielt an der Generalversammlung seiner Firma Mitte Mai fest: wir steigen aus der Sparte Wasserstoff aus – es ist noch zu früh, um daraus ein profitables Geschäft machen zu können. Wie der Auto AG geht es verschiedensten Firmen: nicht wenige Start-ups gehen in Konkurs, etablierte Unternehmen müssen Entlassungen in den H2-Abteilungen vornehmen. Der dritte Hype um Wasserstoff ist vorüber. Welches sind die Gründe:
- Die Kosten für die Produktion von Wasserstoff sind aktuell noch zu hoch: Wasserstoff ist gegenüber fossilen Energieträgern nicht konkurrenzfähig.
- Die Qualitätsvorgaben und Subventionsregimes sind beinahe immer auf einen idealtypisch supergrünen Wasserstoff ausgerichtet. Sie berücksichtigen zu wenig, dass ein Hochlauf nur mit einem pragmatischen Approach gelingen kann: grünes H2 aus bereits bestehenden erneuerbaren Quellen und blauer Wasserstoff (aus fossiler Quelle, aber mit CO2-Abscheidung) müssen eine Chance haben.
- Nicht wenige Produkte, beginnend bei einzelnen Elektrolyseuren, haben noch Kinderkrankheiten und funktionieren nicht zuverlässig im Dauerbetrieb.
Welches können die Treiber für einen Wasserstoffhochlauf sein?
Doch der Wasserstoffmarkt wird deshalb nicht untergehen, vielmehr wird er sich jetzt auf jene Anwendungen konzentrieren, welche kurz- bis mittelfristig Sinn machen. Dafür sprechen folgende Entwicklungen:
- China mit seinem enormen internen Markt setzt stark auf Wasserstoff: es hat sich zum Ziel gesetzt, nach dem Lead bei der Photovoltaik, bei der Windenergie, bei den Batterien und bei den Elektroautos nun auch das Upscaling im Wasserstoffbereich breit voranzutreiben. Kooperationen mit China machen Sinn, um voranzukommen.
- Oman sowie Saudi-Arabien können dank Vorteilen bei Stromproduktion aus Sonne und Wind kostengünstigeres H2 herstellen. Sie werden dabei von europäischen Firmen wie Fluxys unterstützt, welche sich am Aufbau des omanischen H2-Netzes beteiligt und Optionen für den Transport nach Europa evaluiert.
- Deutschland hat eine neue Energieministerin, welche vorher den nationalen Wasserstoffrat präsidiert hat. Man hofft, dass sie die EU wie auch ihr Ministerium motivieren kann, Farbenlehre sowie Förderkonzepte pragmatischer auszurichten.
- Wenn auf den Strommärkten immer öfters Perioden mit negativen Preisen Einzug halten, beginnt die Speicherung von Energie – auch in der Form von Wasserstoff – attraktiver zu werden. Neben Batterien wird Wasserstoff mehr und mehr zu einem Element unserer Versorgungssicherheit, das es klug zu integrieren gilt.
Auf dem Weg zu neuem Realismus und Pragmatismus
Nach dem Hype ist nun ein neuer Realismus in der H2-Branche eingekehrt: ein Fokus liegt – wie in Basel und St. Gallen – auf Cluster-Projekten der energieintensiven Industrie, die eine gute Performance versprechen.
Denn es wird neben Elektronen auch Moleküle brauchen, um die Netto-Null-Ziele 2050 zu erreichen. Und es werden intensive Diskussionen nötig sein, um die H2- und die CO2-Politik möglichst eng zu verknüpfen. Dabei ist auch ein Umdenken in unserem Blick auf CO2 nötig, denn CO2 ist zwar oft Teil des Problems, kann aber oft auch Teil der Lösung sein. Voraussetzung ist aber auch hier, dass man sich bewusst ist, dass eine dank CO2-Förderinstrumenten im Jahre 2025 mögliche, sinnvolle Lösung nicht immer voll die Anforderungen an CO2 für 2050 erfüllen muss.
H2-Strategie oder (nur) -Roadmap?
Seit Dezember 2024 hat auch die Schweiz eine Wasserstoffstrategie. Sie ist weniger ambitiös und vollmundig als die entsprechenden Visionen sowie Papiere der EU und einzelner unserer Nachbarstaaten. Sie ist eher pragmatisch und eben typisch schweizerisch, indem sie dem Markt sowie privaten Initiativen grossteils den Lead überlässt. Nie würde es Schweizer Beamten in den Sinn kommen, ein rein staatliches H2-Netz vorzuschlagen, wie dies noch vor kurzer Zeit in Deutschland von Habecks Team angedacht worden war.
BFE-Direktor Benoît Revaz hat am letzten Parlamentarieranlass die Relevanz der H2-Strategie weiter zurückgenommen, indem er sie zur Roadmap herabstufte. Es geht dabei nicht um Ambitionen und Begriffe, es geht aktuell vor allem auch um den Willen, gemeinsam mit Wirtschaft und Wissenschaft die nächsten Pfähle einzuschlagen. Da ist das BFE gefordert, seine Rolle als Impulsgeberin und Koordinatorin zu spielen. Einige wesentliche Themen müssen jetzt angegangen werden, um H2 wie CO2 in der Schweiz auf einen zukunftsadäquaten Lösungsweg zu bringen.
Anschluss an das europäische Wasserstoffnetz ist vordringlich
Die Schweiz wie auch Europa werden längerfristig H2 importieren müssen, weil mit Blick auf die Klimaziele ein hoher Bedarf besteht und H2 in anderen Regionen der Welt kostengünstiger hergestellt werden kann. Deshalb ist es unerlässlich, dass die Schweiz an das europäische Wasserstoffleitungsnetz angeschlossen wird. Wenn dabei zur Umsetzung als letztes Element eine Risikoabsicherung durch den Staat unumgänglich wird, dann sollte diese unter der Voraussetzung gewährt werden, dass der Staat im positiven Case auch bei den Erträgen adäquat partizipieren kann.
Pragmatisches Herangehen nötig
Andere Staaten haben umfangreiche Förderprogramme aufgesetzt, welche teils zu eher fraglichen Projekten geführt haben. Bei uns ist nun vorerst zentral, dass das HKN-System H2 pragmatisch umgesetzt wird. Zudem ist die Netzbefreiung bis 2030 zu lockern und zu konkretisieren. Wünschbar wäre auch, dass ein Quoten- resp. Beimischungsmodell vertieft geprüft wird, so kann in kleinen Schritten der Übergang hin zu fossilfreien Brennstoffen starten. Grosse Chancen kommen auch mit dem Klima- und Innovationsgesetz, welches gezielt innovative Projekte unterstützen kann. Voraussetzung ist allerdings, dass dabei die Förderkriterien im aktuellen Zeitpunkt primär Dinge ermöglichen und nicht durch enge Definitionen verunmöglichen.
Sektorkopplungen jetzt austesten
Über Ostern fiel in verschiedensten Regionen der Schweiz während Stunden bis zu Tagen der Strom aus. Die Handyantennen waren teils bereits nach dreissig Minuten nicht mehr einsatzbereit. Vergangenes Jahr war vorgeschlagen worden, dass diese Mobilfunkantennen künftig im Krisenfall 72 Stunden Verbindungen ermöglichen sollen. Dies wurde nicht in die 2024 zu revidierende Verordnung aufgenommen, weil die Telekomanbieter vor den drohenden hohen Kosten warnten. Nach den Ereignissen von diesem Frühling ist es an der Zeit, sich neue Konzepte zu überlegen: klug designte H2-Speicher könnten sowohl für den Telekomsektor bei Stromausfall einspringen als auch im Normalbetrieb Reserve- und Regelenergie für den Strommarkt anbieten. Dadurch könnten Bau und Betrieb von Gaskraftwerken unnötig werden. Es gilt, innovative Kräfte von Telekom-, Strom- und Gaswirtschaft an einen Tisch zu bringen: gemeinsam geht auch hier vieles einfacher und besser!